Aktuelle Projekte

Artikel im Marcus (Saalfeld am 22.04.2020)


Die Heimatmacher Teil 1

KS | marcus®, Ausgabe 03 | 2019 | 06. Februar

Wenn die EU Heimat fördert – Lebens- und Geschäftsmodelle auf dem Dorf

Das Haus ist alt, das Fachwerk-Skelett zum Teil schadhaft, die Kammern winzig, die Decken niedrig, die Fenster sparsam bemessen, wie vor 150 Jahren üblich. Jahre, Jahrzehnte, Jahrhunderte liegen hinter dem Vierseithof, der nun von einer – in wenigen Wochen vierköpfigen – jungen Familie bewohnt wird, bewirtschaftet in naher Zeit. Noch ist es eine Baustelle: Aus den einstigen winzigen Gesindestuben im Seitentrakt entstehen hinter einem Laubengang moderne Gästezimmer unter Erhalt und Nutzung der alten Bausubstanz. Die Remise, anschließend im hinteren Teil, wo früher die Fuhrwerke Unterstand hatten, wird erneuert, der Raum um den Brunnen zur Schankstube. Ein Lebens- und Geschäftsmodell: der Seminar- und Handwerkerhof in Oberwellenborn - modernes Dorfleben im Traditionellen.

Die Idee hatte – zugegeben ein wenig unter Druck seiner Heidi – der Zimmermann Paul Georg Borner, der nach Lehrzeit und Jahren auf Wanderschaft hier auf dem Hof lebt, den ihm seine Großeltern übergaben. Sie hat damit zu tun, das er „etwas zurückgeben will von den guten Erfahrungen aus der Zeit als Wandergeselle“. Wer Meister werden wollte, musste vom Spätmittelalter bis zur beginnenden Industrialisierung auf Wanderschaft gehen. ArbeitsundLebenserfahrung sollten die jungen Männer sammeln. In ungefähr 35 Handwerken ist das bis heute möglich: Bäcker, Betonbauer, Bootsbauer, Goldschmiede, Köche, Landwirte, Maurer, Steinmetze und Schneider und eben Zimmerleute gehören dazu. Ihm gehe es darum, den Charakter der traditionellen Wanderschaft in einer sich stetig wandelnden Welt am Leben zu erhalten, sagt Borner. Deshalb nun der „Handwerkerhof“, in dem Erfahrungen ausgetauscht, geplant, Ruhe gefunden werden könne von Menschen, die beruflich wie persönlich ganz unterschiedliche Vorstellungen haben, die dennoch vereint sind durch ihre Lebensumstände. Dass es in einem Handwerkerhof auch um Weiterbildung gehe, erkläre sich von selbst. Und dass gezeigt wird, wie Heimat auch gehen kann, Heimat auf dem Dorf. In einer Zeit, die Standard-Lösungen, Schnelligkeit und Effizienz betont, wodurch auch viel verloren geht. In einer Zeit, in der die Jugend aus dem Dorf weggeht und mit ihr die Zukunft. Auch deshalb steht der Hof dann auch für Familienfeiern offen oder Veranstaltungen, für die man sonst erst in die Stadt fahren müsste, Yoga etwa, Vorträge, Workshops.

 

Nun sind Ideen und Träume das Eine, um sie zu realisieren, braucht auch ein Zimmermann weitere Fachleute – und zwar in der Nähe. Es braucht den Fachmann mit Zugang zur historischen Bausubstanz, einem Gefühl dafür, Wissen selbstredend. Neben Gewerken wie Sanitär, Heizung, Elektro auch Lehmbauer und Steinmetze. Der Ausbau oder Umbau alter Gebäude bietet reizvolle aber äußerst schwierige Aufgaben. Bautechnische Sachkenntnis ist gefragt, profunde Kenntnis alten Baugefüges und konstruktiver Techniken. Weit über Kreis- und Landesgrenzen hinaus bekannt für den Erhalt alter Handwerkskunst ist der Holzbaubetrieb Detlef Schlegel in Kaulsdorf, der 2007 den Bundespreis für Zimmererhandwerk in der Denkmalpflege erhielt und als Rettungsstelle für Bauschäden, Altbau und Denkmalpflege regional und überregional unterwegs ist. (Ein Überblick über die Arbeit der Kaulsdorfer Zimmerleute findet sich unter www.schlegelholzbau-kaulsdorf.de.)

 

Schließlich sind „alte historische Gebäude die Summe jahrhunderterlanger Erfahrungen“. Alte Häuser sind Handarbeit, das macht sie vor allem unverwechselbar und lebendig. „Neues“ Holz muss sich, nahtlos quasi, nicht sichtbar, einfügen in vorhandenes, wie hier der neue Laubengang vor den Gesindekammern. Besondere Techniken, etwa beim Restaurieren des Hängesprengwerks, machen möglich, was nahezu unmöglich scheint. Ideen, Träume, Fachleute … Aber - was sollte das alles kosten? Hier setzt etwas an, was sonst häufig in der Kritik steht: die EU. Die mit dem LEADER-Programm etwas fördert, wofür sie landläufig nicht so bekannt ist: gesellschaftliche und wirtschaftlich gewachsene und bewährte Strukturen und Neues. Damit schafft und sichert sie Heimat, Traditionen. Gemeinsam mit den Heimatmachern vor Ort. „So nah wie bei LEADER ist die EU sonst nicht am Menschen“, sagt Ines Kinsky von der LEADER-Aktionsgruppe Saalfeld-Rudolstadt, die ihre Geschäftsstelle in der Domäne Groschwitz nahe Rudolstadt hat. LEADER steht für „Liaison Entre Actions de Développement de l‘Économie Rurale“ (Verbindung zwischen Aktionen zur Entwicklung der ländlichen Wirtschaft). Seit 1991 werden durch den Europäischen Landwirtschaftsfond Modellprojekte gefördert, die wichtig für die Region sind, aber auch Bedeutung über den regionalen Tellerrand hinaus haben. Die lokalen Aktionsgruppen, an welche die Förderanträge gerichtet werden, begleiten die Projekte, bringen so die regionale Entwicklung voran. Gefördert werden vier Schwerpunktbereiche: Landwirtschaft, Tourismus, Kommune, Kulturlandschaft.

 

Es geht dabei um bessere Lebensqualität, um den Schutz von Natur und Landschaft. Bedingung: der Ort, in dem die Projekte gefördert werden, muss in einer LEADER-Region liegen, sie müssen zu den regionalen Entwicklungskonzepten passen und natürlich den Programmen des jeweiligen Bundeslandes für den ländlichen Raum entsprechen. Das ist der Fall beim Seminar- und Handwerkerhof in Oberwellenborn. Und auch bei weiteren Projekten im Landkreis Saalfeld-Rudolstadt, über die marcus® berichten wird in der Serie „Die Heimatmacher“.

 



Na, altes Haus!
Wenn Handwerkskunst

Denkbares machbar macht

KS | marcus®, Ausgabe 02 | 2018 | 24. Januar | 17. Jahrgang

„Wer mit seinen Händen arbeitet, ist ein Arbeiter, wer mit seinen Händen und mit seinem Kopf arbeitet, ist ein Handwerker, und wer mit seinen Händen, seinem Kopf und seinem Herzen arbeitet, ist ein Künstler.”   Franz von Assisi

 

 

 

Seine beste Zeit hatte es wohl hinter sich, sein Schicksal schien besiegelt wie das so vieler alter Häuser und Scheunen; dem Fachwerkbau in Reichenbach bei Langenschade drohte der Abriss.

 

Bis jemand seine Schönheit und Einzigartigkeit hinter dem Verfall sah. Es war so etwas wie Liebe auf den ersten Blick, der Marika und Andreas Rauch 2014 auf die Idee brachte, das Haus, dessen Dach einzustürzen drohte, abtragen und in seinem Heimatort Kleinneundorf bei Probstzella restauriert wieder aufbauen zu lassen. Ideen und Wünsche sind das Eine, um sie zu realisieren braucht es den Fachmann – und zwar in der Nähe.

 

Das Arbeiten an oftmals jahrhundertealten Gebäuden, ihr Ausbau oder Umbau bietet reizvolle aber auch äußerst schwierige Aufgaben für den Zimmermann. Sachkenntnis ist gefragt, profunde Kenntnis alten Baugefüges und konstruktiver Techniken. Weit über Kreis- und Landesgrenzen hinaus bekannt für den Erhalt alter Handwerkskunst ist der Holzbaubetrieb Detlef Schlegel, der als Rettungsstelle für Bauschäden, Altbau und Denkmalpflege 2007 den Bundespreis für Zimmererhandwerk in der Denkmalpflege erhielt. Auch dem Bauingenieur war das „mitteldeutsch-fränkische Wohnstallhaus aus dem späten 17. Jahrhundert“ aufgefallen, der Zerfall eines der wohl ältesten Häuser von Reichenbach ihm ein Dorn im Auge. Schließlich sind „alte historische Gebäude die Summe jahrhunderterlanger Erfahrungen“. Alte Häuser sind Handarbeit, das macht sie vor allem unverwechselbar und lebendig. Und: Man hatte das Ganze im Blick: das fing schon mit der Holzauswahl im Wald an, der Holzeinschlag erfolgte in der saftarmen Winterzeit und die Balken und Bohlen wurden nicht gesägt, sondern bebeilt – heute als konstruktiver Holzschutz wiederentdeckt.

 

„Einen alten Baum verpflanzt man nicht, heißt es – ein altes Haus aber wohl?“ „Wenn es seiner Rettung dient, auf jeden Fall!“ Der Umsiedlungsplan schien zunächst nachgerade aberwitzig. War Denkbares auch machbar? Doch jetzt, drei Jahre später, ist die Richtkrone gesetzt. Hinter Bauleuten und Bauherrn liegen lange Monate des Hoffen und Bangens, der Begeisterung und Enttäuschung. Monate, die neues Wissen, neue Erkenntnisse brachten, gute Zusammenarbeit mit weiteren Fachleuten und Unternehmen, wie dem Saalfelder Ingenieurbüro für Statik Fronzek und Gutheil und der GIV Saalfeld, die als Tochterunternehmen der Kreissparkasse eine Riesenhalle zur Verfügung stellte, als sich neue Probleme auftaten.

 

Durch das Umsetzen verliert ein Gebäude den Bestandsschutz, gilt in der Baugesetzgebung als Neubau. Das betrifft Statik ebenso wie Brandschutz und energetische Auflagen. Lösungen mussten gefunden werden. Und dann auch noch das: Beim Freilegen und Kartieren zeigte sich, dass alte, weit zurückliegende Reparaturen am Hausgefüge lediglich der Sicherung gedient hatten, die entstandenen Verformungen aus den Lastumlagerungen der durch Hausbock und holzzerstörenden Pilze nicht mehr tragfähigen Hölzer wurden damals nicht mit behoben, erklärt die Sachverständige für Holzschutz Petra Schlegel. Eine Umsetzung in Segmenten, wie geplant, war somit unmöglich. Also: Lehmbewurf und Weidengeflecht aus den Gefachen entfernen, die komlette Holzkonstruktion kartieren, alle historischen Holzverbindungen lösen und die Balken vorsichtig manuell abtragen.

 

Hinter Verbretterungen und Verputz kamen eine Bohlenstube zum Vorschein und eine Schwarzküche. In so einem vom offenen Herd rußgeschwärzten Raum stieg der Rauch über dem Herd in einen trichterförmigen Schlot auf, von wo er durch Öffnungen über das Dach abgeleitet wurde. Was für Bewohner oftmals schwer erträglich war, spielte ganz nebenbei eine nicht zu unterschätzende Rolle bei der thermischen Trockenhaltung des Holzes und bei der Schädlingsbekämpfung. Vergleichbares zeigen im Übrigen die Museums-Bauernhäuser in Rudolstadt und Hohenfelden.

 

Nach dem vorsichtigen Abbau mussten über 19 Kubikmeter hölzerne Einzelteile, manche bis zu 16 Meter lang, in die Werkstatt nach Kaulsdorf transportiert werden. Nicht wenige der Balken waren so geschädigt, dass nur noch die Außenhüllen als Ansicht zu retten waren, innen wurden sie mit Schnittholz verstärkt. Fast 9 Kubikmeter bebeiltes Altholz für den Sichtbereich (geborgen aus zurückliegenden Abbruchmaßnahmen sowie 28 Kubikmeter Neuholz zur Sicherstellung der statischen Anforderungen wurden so zusätzlich verbaut. Äußerlich ist das nicht sichtbar, durch verschiedene Bearbeitungsverfahren hat das Neuholz die Anmutung von original bebeilten Balken. Historische Schmuckprofile des Bestandes wurden detailgetreu in das Neuholz eingearbeitet. Dendrochronologische Untersuchungen ergaben für das hölzerne Gefüge des Gebäudes ein Alter von 316 Jahren, die Bohlenstube ist noch 12 Jahre älter. Nach über 300 Jahren ist es soweit: Für das alte, unverwechselbare Haus beginnt ein neues Leben!



Fachwerkhaus Langenschade

Gerettet: ein Haus zieht um

OTZ  13.2. 2016

 

Sein Schicksal schien besiegelt: Das Dach drohte einzustürzen, das Haus war hinüber. Doch mit dem Rückbau des Fachwerkbaus aus dem 17. Jahrhundert in Reichenbach begann sein neues Leben.

Von Sabine Bujack-Biedermann

 

Kaulsdorf. Für den Laien liegt in der Halle am Saaleufer neben der Bundesstraße 85 ein Haufen alter Balken, gut für das nächste Lagerfeuer. Detlef Schlegel (63), Inhaber der Firma SchlegelHolzBau, aber weist begeistert auf Bearbeitung der alten Balken hin: „Das stammt aus einer Zeit, in der die Handwerker noch wussten, was sie taten und warum, sie hatten das ganze Haus im Blick.“

Balkenstück für Balkenstück trägt Zahlen, und in Schlegels Gedanken fügen sie sich zu einem Haus zusammen, zum Haus, das bis vergangenen September in Reichenbach bei Langenschade stand – gegenüber der Kirche, seit Jahren, wenn nicht Jahrzehnten leer stehend und so dem Verfall preisgegeben. Trotzdem hatte sich Andreas Rauch in dieses verliebt, und auch Detlef Schlegel war es im Vorbeifahren aufgefallen.

„Es kann gut das älteste Haus von Langenschade sein“, sagt Schlegel über das „mitteldeutsch-fränkische Wohnstallhaus aus dem späten 17. Jahrhundert“. Dass der Bauherr in spe und der Bauingenieur zusammenkamen, hängt mit dem Ruf des Holzbaubetriebs zusammen, der nicht umsonst als „Rettungsstelle für Bauschäden, Altbau und Denkmalpflege“ firmiert, den Bundespreis für Zimmererhandwerk in der Denkmalpflege 2007 vorweisen kann und gern einen Weg sucht, alte Handwerkskunst zu erhalten, mag der Plan auch noch so abwegig sein. Denn das schien die Idee von Rauch zunächst: Der junge Mann wollte das Fachwerkhaus, das wegen des einsturzgefährdeten Dachs notgesichert werden musste, abtragen und restaurieren lassen, um es in seinem Heimatort Kleinneundorf bei Probstzella wieder aufzubauen.

Schlegel, der seine Firma erst vor gut einem Jahr aus der Holzbau Kaulsdorf GmbH ausgründete, erinnert sich an „stundenlange Diskussionen“ auf der Suche nach einem praktikablen Weg, denn beide Seiten waren überzeugt, ihn zu finden. „Wir haben die richtigen Partner“, kann sich Schlegels spezialisierter Drei-Mann-Betrieb auf kooperierende Fachleute und Unternehmen verlassen. Das war zunächst das Saalfelder Ingenieurbüro für Statik Fronzek und Gutheil, das ein 500-Seiten-Gutachten vorlegte.

Durch die Translozierung, wie der Fachmann das Umsetzen eines Bauwerks nennt, verliert es den Bestandsschutz, was in diesem Fall heißt, dass das 350 Jahre alte Haus nicht mehr unter Denkmalschutz steht, sondern vielmehr als Neubau gilt. „Mit allen Anforderungen, die die Baugesetzgebung heute stellt“, zählt Schlegel neben der Statik  auch Brandschutzauflagen und energetische Vorgaben auf. Nachdem diese Hürden genommen waren, das Haus kartiert und fotografisch dokumentiert war, brach der Plan zusammen, es in Segmenten umzusetzen. Beim Abtragen zeigte sich, dass „die Schäden größer waren als vermutet“, berichtet Petra Schlegel (50), Sachverständige für Holzschutz.

Nun mussten Bauherr und Baufirma ran, den Lehmbewurf und das Weidengeflecht aus den Gefachen klopfen, die Balken nummerieren und einzeln abtragen. Die positiven Überraschungen, die dabei zu Tage traten, wogen die bisherigen Mühen der Hausbewahrer auf: Sie stießen im Inneren unter verputzten Wänden auf eine Bohlenstube, sie legten eine Schwarzküche frei, einen für diesen Haustyp charakteristischen vom offenen Herd rußgeschwärzten Raum, und sie fanden auch noch den originalen Deutschen Schlot vor, der den Rauch über dem Feuer trichterförmig einfing und unters Dach leitete, wo er durch spezielle Öffnungen entweichen konnte.

17 Kubikmeter hölzerne Einzelteile, manche bis zu 13 Meter lang, waren schließlich nach Kaulsdorf zu transportieren, und weil der Abbauplatz direkt an der engen Dorfstraße lag, musste der Kraneinsatz mit dem Busfahrplan abgestimmt werden. Jetzt sind Schlegels Zimmerleute gefragt. Zwar sind sie derzeit auch bei der Restaurierung von Schloss Ketschendorf bei Coburg eingesetzt, doch ist das Aufarbeiten der Fachwerkbalken für sie mindestens genauso interessant. Wegen des starken Hausbock-Befalls und verschiedener Nassfäuleerreger gelingt es ihnen manchmal nur, die Außenhaut der Balken, an der noch die typischen Beilschläge zu erkennen sind, zu retten. Im nichtsichtbaren Innenbereich werden die Balken mit Schnittholz – insgesamt sieben bis acht Kubikmeter – verstärkt. Außerdem soll das Alter der Originalbalken mit Hilfe der Dendrochronologie bestimmt werden.

An den Wänden  der Werkstatt zeigen Fotos das alte Fachwerkhaus, von dem so viel wie möglich im Herbst in Kleinneundorf wieder aufgebaut werden soll – mit Bohlenstube, Schwarzküche und Deutschem Schlot. „Es ist nicht das erste Haus, das umgesetzt wird“, sagt Schlegel, „doch dieses kommt nicht in ein Freiluftmuseum, es hat ein zweites Leben.“